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Landkreis (Landratsamt) Lindau

Beschreibung
Der Landkreis Lindau (Bodensee) liegt im äußersten Südwesten Bayerns, im Dreiländereck am Bodensee. Er ist der flächenmäßig kleinste der schwäbischen Landkreise und der zweitkleinste in Bayern. Das Gebiet grenzt im Norden und Westen an das Land Baden-Württemberg, im Süden an das österreichische Vorarlberg und im Südwesten auf einer Länge von 14 km an den Bodensee mit der Schweiz als südlichem Nachbarn. Nur ostwärts, über den Landkreis Oberallgäu, ist Lindau mit dem Regierungsbezirk Schwaben verbunden. In 19 Gemeinden, darunter die Städte Lindau und Lindenberg, wohnen rund 80.000 Menschen, die Einwohnerdichte ist hoch: 246 Einwohner je qkm. Durch die große bayerische Gebietsreform von 1972 fand Lindau unversehrt hindurch, der Kreis verlor weder seine Eigenständigkeit, noch wurde er mit anderen Landkreisen zusammengelegt.
Das hügelreiche Westallgäuer Land entstand in den Eiszeiten. Der Rheingletscher sandte mehrere Seitenlappen nach Norden in den heutigen Landkreis, ebenso der angrenzende Illergletscher. Die sich ablagernden, in der Fließrichtung der Gletscher ausgebildeten Moränenschutthügel, meist elliptischer Form, Drumlins genannt, prägen die Oberfläche. Große Höhenunterschiede im Gebiet des Landkreises führen zu starken klimatischen Differenzen: unten milde Seeluft, oben raueres Gebirgsklima. Die Landschaft wird durch die Landwirtschaft geprägt. Typisch ist die beherrschende Siedlungsform aus Einzelhöfen und Weilern, ein immer noch sichtbares Ergebnis der ab 1770 einsetzenden Vereinödung. Die damaligen Maßnahmen (Aussiedlung, Flurneuordnung, Wegebau, Gewässerordnung) schufen die Grundlage für eine entwicklungsfähige Landwirtschaft, die bis heute prosperiert. Etwas mehr als 1.000 Betriebe mit 2 und mehr ha wirtschaften im Landkreis auf 20.000 ha Landwirtschaftsfläche. Drei Produktionsgebiete sind zu unterscheiden:
1. Das Bodenseebecken auf 400-500 m NN, 8-9 Grad mittlerer Jahrestemperatur und 1.200-1.300 mm Niederschlag. Der Frühling setzt 3-4 Wochen früher ein als im oberen Landkreis. Am See werden intensive Sonderkulturen angebaut, so Obst auf 700 ha, Wein auf 22 ha mit dem höchsten Weinberg Bayerns am Ringoldsberg (490 m NN), auf 6 ha noch Hopfen, dazu intensiver Gartenbau. Den größten Teil der Fläche nimmt aber auch hier wie im übrigen Landkreis das Grünland ein. Auf dem See wird Erwerbsfischerei betrieben.
2. Das Westallgäuer Hügelland auf bis zu 750 m NN, 7-7,5 Grad mittlere Jahrestemperatur, 1.400-1.600 mm Niederschlag, Grünlandwirtschaft mit Milchviehhaltung und Nachzucht herrscht vor, die Betriebe sind durchschnittlich 15 ha groß.
3. Das Berggebiet, geologisch ein Teil des Vorderen Bregenzer Waldes, 700-1.000 m NN, 1.600-2.000 mm Niederschlag und nur noch 6,5-7 Grad mittlere Jahrestemperatur. Allein Grünlandwirtschaft ist hier möglich. Auf 25 Alpen, die bis auf 1.200 m hinaufreichen und zusammen fast 500 ha Lichtweidefläche umfassen, werden um die 800 Stück Vieh geälpt. Im Landkreis gibt es entsprechend der hohen Zahl von 35.000 Rindern, davon 18.000 Milchkühe, eine bedeutende milchverarbeitende Industrie. Sechs Sennereien stellen Allgäuer Bergkäse und Emmentaler noch handwerklich her.
Für die Agrargeschichte bemerkenswert ist die Entwicklung Lindenbergs. Der Ort entwickelte sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts zu einem zentralen Umschlagplatz für den Pferdehandel nach Italien. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts fanden dabei Bauernsöhne einen lohnenden Nebenerwerb beim wochenlangen Trieb der Pferde über die Alpen. Das bei den kommerziellen Pferdehändlern angesammelte Kapital diente daheim dem Aufbau einer Industrie (Strohhutfertigung), in der wiederum überzählige Menschen aus der Landwirtschaft, ohne abwandern zu müssen, ihr Brot verdienten.
Lindau ist ein waldarmer Kreis, nur 26 % der Fläche bedeckt Wald (Bayern 35 %). Noch dazu ist die Bewaldung recht unterschiedlich: im Bodenseebecken unter 20 %, im Westallgäu bis zu 30 %. Privates Waldeigentum mit starker Besitzzersplitterung herrscht vor. Auf 1.500 ha wird noch die altüberkommene, aus ökologischer Sicht ideale Waldwirtschaftsform des Plenterwaldes betrieben.
Erst in der späteren Eisenzeit sind Menschen im Gebiet nachweisbar. In der späten Latènezeit siedelten hier Kelten. An mehreren Stellen wurden ihre charakteristischen Goldmünzen, die Regenbogenschüsselchen, gefunden. Einige geographische Namen sind keltischen Ursprungs: Leiblach, Argen, Ifen, Entschenkopf. Ins fassbarere Licht der Geschichte tritt das Gebiet im Jahre 15 v.Chr., als die Römer auf den Bodensee trafen. Davon zeugen Bodenfunde, Reste römischer Straßenzüge und Siedlungen sowie einzelne Ortsnamen im seenahen Teil des Kreises. Der obere Teil des Gebietes, drei Fünftel der Landkreisfläche, blieb bis ins 8. Jahrhundert eine abgelegene und siedlungsfeindliche Randlandschaft des Bodenseeraumes. Der See diente den Römern und später den Alemannen als alltägliche Wasserstraße, verband also die Menschen, trennte sie nicht. Dazu gab es Römerstraßen von West nach Ost (Via decia) und von Nord nach Süd (Via claudia). Sie kreuzten sich in Bregenz, das lange Zeit das Ende der Zivilisation darstellte.
Der Landesausbau erfolgte durch adelige Herren, so die Patachinger, Hunfridinger, Udalrichinger, Welfen und Bertolde. Aber sie drangen vor dem 7. Jahrhundert kaum über den engsten Bodenseeraum hinaus. So gibt es nur einen einzigen Reihengräberfund im Landkreis, bei Hengnau. Der am frühesten in einer Urkunde erwähnte Ortsname findet sich zwischen 769 und 773 mit "Haddinwilare", dem heutigen Leiblachsberg. Kirchengründungen sind im Westallgäu vor dem 8. Jahrhundert nicht nachzuweisen, danach sind es das Kloster St. Gallen und alemannische Adelige, die als Bauherren auftreten. Die meisten Gotteshäuser blieben bis heute katholisch, denn die Reformation erfasste auf die Dauer nur die Reichsstadt Lindau. Seit dem 12. Jahrhundert baut der Dienstadel sich Burgen, was sowohl das vielgestaltige Herrschaftsbild erkennen lässt als auch das Emporsteigen der örtlichen Grundherren. Über 30 Burgställe sind im oberen Kreisgebiet bekannt. Zu sehen sind allenfalls noch geringe Mauerreste. Von den Schlossbauten im Landkreis sind noch zwei erhalten: einer in Wasserburg und die einzige Schlossburg im Kreis, Syrgenstein, erstmals genannt 1265. Der Bau birgt den bedeutendsten Rokokostuck des Landkreises.
Von der Landerschließung im 8. und 9. Jahrhundert bis in das Spätmittelalter, ja sogar bis zum Ende des Alten Reiches (1805), bestimmten Aufteilung und Zersplitterung von Besitz- und Herrschaftsrechten die Siedlungs-, Güter- und Herrschaftsverhältnisse im Kreisgebiet. Die Rechte und Einkünfte befanden sich in kaum überschaubarer Gemengelage und waren zahlreich untereinander verflochten. Mehr als ein Dutzend Herrschaften teilten sich das kleine Gebiet des Landkreises, darunter die Reichsstädte Wangen und Lindau, Stifte, Klöster, Reichsritter, Grafen. Kleinräumigkeit ist daher das prägende Merkmal der historischen Entwicklung des Landkreises. Erst mit dem Vordringen der Habsburger ab 1451 geht die Vielfalt der ineinander verwobenen Adels- und Kirchenherrschaften langsam zurück, denn die Habsburger strebten großflächige Herrschaftsräume an. Sie erwarben immer mehr Westallgäuer Herrschaften, um ihre Territorialkomplexe in der Schweiz mit denen in Tirol zu verbinden. Etwa seit dem 16. Jahrhundert sind dann im heutigen Landkreis die territorialen Grenzen, der rechtliche und politische Rang und die Konfessionszugehörigkeit der sehr verschiedenartigen historisch-politischen Gebilde weitgehend festgelegt. Das blieb so bis zum Preßburger Friedensvertrag von 1805, als Bayern, um Österreich aus Süddeutschland zu verdrängen, vorübergehend (bis 1814) sogar Vorarlberg und Tirol zugeschlagen bekam. Das Lindauer Gebiet blieb jedoch für immer bei Bayern, nur nach dem Zweiten Weltkrieg bildete es als "Bayerischer Kreis Lindau" mit eigener Verwaltungsbehörde (Kreispräsidium) unter französischer Besatzung bis 1956 ein besonderes staatsrechtliches Gebilde.
Das Allgäu und damit auch das Gebiet des Landkreises Lindau standen im Mittelpunkt des Bauernkrieges von 1525. Das ganze 15. Jahrhundert hindurch hatte es hier bereits Erhebungen und Revolten gegeben, bei denen es immer um das Gleiche ging: die Bauern, durchaus von einer gewissen Wohlhabenheit, wollten ihre alten, überkommenen Rechte behalten. Im Bauernkrieg vermengten sich dann diese weltlichen Anliegen mit religiösen Elementen. Zwei Bauernhaufen aus dem heutigen Kreisgebiet (Seehaufen, Lindenberger Haufen) gingen schließlich in der Schlacht bei Leipheim in einem Blutbad unter. Sehr hohe Entschädigungsforderungen trafen die Westallgäuer Dörfer schwer. Wiederum wurde das Gebiet verheert als der Dreißigjährige Krieg sich mehrere Male durch das Land wälzte. Ab 1635 rafften Hunger und Pest bis zu zwei Drittel der Bevölkerung hinweg. Der noch erhaltene Pestfriedhof bei Trösteinsamkeit in der Nähe von Unterreitnau erinnert daran. Bis ins 18. Jahrhundert blieb das Westallgäu danach Einwanderungsland für Menschen aus den kriegsferneren Landstrichen in Tirol und in den Berggebieten Vorarlbergs. Die Erbfolgekriege des 18. Jahrhunderts verliefen weniger folgenreich, obwohl Truppendurchzüge, Einquartierungen und Plünderungen die Menschen schwer drangsalierten. In den Koalitionskriegen (1792-1807) gegen das revolutionäre Frankreich wiederholte sich das noch ein Mal. Die beiden Weltkriege überstand der Landkreis recht glimpflich, freilich hatte wie im übrigen Deutschland nahezu jede Familie mindestens ein Mitglied im Felde verloren.
Im Landkreis Lindau, der immer Grenz- und Durchgangsland war, konnte sich keine Kunstzentrale von Rang entwickeln, noch dazu fehlte es bei der zersplitterten Herrschaftsordnung an reichen Auftraggebern. Daher gibt es keine Künstler von Rang aus dem Kreisgebiet. Man rief die Künstler bei Bedarf von außen herbei. Dennoch weist der Landkreis viele sehenswerte Kunstwerke auf. Hugo Schnell, von 1938 bis zu seinem Tod 1981 in Scheidegg lebend, hat sie in seinem Buch "Der Landkreis Lindau" (1971) zusammenfassend beschrieben. Als bedeutende Kunstwerke nennt er u.a. die Reste der Wandgemälde (1435/37) in der Pfarrkirche Gestratz, die Fresken von Hans Holbein d. Ä. in St. Peter in Lindau, verschiedene meisterhaft gestaltete Grabsteine, am bekanntesten der für H. und R. von Horben in der Kirche von Gestratz (1506/09), ausgezeichnete Frührenaissance-Figuren in mehreren Kirchen, viele Barockausstattungen, kunstvolle Monstranzen und Kelche, die zumeist in Augsburg gefertigt wurden. Die älteste Steinfigur im Westallgäu ist die thronende Madonna von Simmerberg (1330/50). Die Kirche von Genhofen gilt als Juwel später Gotik. Die meisten anderen gotischen Kirchen sind in der Barockzeit umgestaltet worden, so die Wallfahrtskirchen in Itzlings und Maria Thann, einem der schönsten Kirchenräume weit und breit. Neu gebaut wurde u.a. die Antoniuskapelle in Hergensweiler (1682). Der wichtigste Barockbau im hiesigen Gebiet ist der Stiftsbau des Damenstiftes Lindau.
Der ursprüngliche Hausbau im Westallgäu war eine Einfirstanlage, in der Stall und Tenne an das Wohnhaus unter dem gleichen Dach anschließt. Die ältesten heute noch stehenden Bauernhäuser stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Die schönsten und zahlreichsten älteren Häuser im oberen Kreis stehen in Weiler. Aus dem 13. Jahrhundert stammt der Baukern der ehemaligen Schlossmühle in Wohmbrechts, ähnlich alt ist auch die Mühle in Tobel bei Ellhofen mit ihrem reichen Fachwerkgiebel (1650). Der bedeutendste alte Pfarrhof ist in Unterreitnau zu sehen. Das Gasthaus "Zum Adler" von 1560 in Oberreitnau zählt zu den schönsten Fachwerkbauten des Gebietes. Ein historisch wertvoller Gasthof ist auch das Haus "Zum Engel" am See von 1617. Dass früher der Weinbau viel ausgedehnter betrieben wurde, lässt sich an den noch erhaltenen Torggeln ablesen, die Weinpresse in Nonnenhorn (1591) wäre sogar noch betriebsbereit.
Einen gewichtigen Teil des materiellen geschichtlichen Erbes bewahren heute die Heimatmuseen im Landkreis Lindau. Das repräsentativste ist das Heimatmuseum der Stadt Lindau im "Haus zum Cavazzen", dem schönsten Bürgerhaus am ganzen Bodensee. Gemälde und Plastiken von der Gotik bis zum Biedermeier sind zu sehen und Wohnkultur. Das Westallgäuer Heimatmuseum in Weiler zeigt Volkskultur, religiöse Volkskunst und bäuerliche Wohneinrichtungen. Ebenfalls in Weiler liegt das Kornhaus-Museum, das bäuerliches Gerät der letzten zwei Jahrhunderte beherbergt. Die in Weiler aufbewahrte pflanzenkundliche Sammlung von Prof. Hummel ist der Allgäuer Flora gewidmet. Seit 1990 ist in Weiler das Dokumentationszentrum für Heimatgeschichte und Heimatpflege zu Hause. Religiöse Volkskunst ist das Sujet des Heimatmuseums in Hergensweiler. Das Museum im Malhaus in Wasserburg beschäftigt sich mit dem Wein- und Flachsbau und mit der Fischerei. Mittelbar haben auch das Hutmuseum in Lindenberg und das Handwerkermuseum in Scheidegg mit dem Agrarkulturerbe zu tun.
Text: Prof. Dr. Joachim Ziche
Literatur
-Daheim im Landkreis Lindau. (Hrsg. v. Dobras, Werner; Kurz, Andreas.) Konstanz 1994
-Schnell, Hugo:
Der Landkreis Lindau. Landschaft, Geschichte, Kunst. München-Zürich 1971