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- AgrarKulturerbe-Preis

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Landkreis (Landratsamt) Neu-Ulm

Beschreibung
"Zwischen Alb und Allgäu" mit diesem Titel eines 2002 erschienenen, reich bebilderten Buches über Neu-Ulm wird die geographische Lage dieses zu den kleinsten in Bayern zählenden Landkreises anschaulich beschrieben. 17 Gemeinden gehören dazu, davon haben 5 den Status "Stadt", was schon darauf hindeutet, dass Neu-Ulm zu den am dichtesten besiedelten Landkreisen Bayerns zählt (317 Ew./qkm). 163.500 Bewohner, davon 50.000 in der Kreisstadt Neu-Ulm leben hier.
Das Klima ist mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 7,6 Grad C ein ganzes Grad höher als im Allgäu, die Niederschläge mit 760 mm erheblich geringer. Ein "Land der Gewässer" sei ihr Landkreis, sagen die Landschaftsschützer nicht ohne mahnenden Unterton in der Stimme. Dabei denken sie zurück an die Korrektion des Hauptflusses Iller, die den Landkreis im Westen begrenzt (zugleich Landesgrenze zu Baden-Württemberg) und hier von 1859 bis 1875, andernorts bis 1894, korrigiert wurde, um der häufigen schweren Hochwasser Herr zu werden. Leider stellten sich fatale ökologische Folgen ein: das verengte, aber als Gebirgsfluss immer noch reißende Gewässer grub sich tief in sein verbliebenes Bett ein, woraufhin das Grundwasser rundum ebenfalls immer tiefer sank, die Auwälder trocken fielen und die Erträge auf den flussnäheren Äckern und Wiesen merklich zu sinken begannen. In den fünfziger Jahren musste die Iller daraufhin saniert werden (z.B. durch den Einbau von Sohlschwellen), was bis weit in die achtziger Jahre dauerte. Weitere Renaturierung ist notwendig. Einige noch ursprünglich erhaltene Auwälder entlang der Iller gehören zu den landschaftlichen Höhepunkten der sonst unspektakulären Landschaft. Der Kiesabbau auf der Schotterplatte, die den Löwenanteil des Landkreises bildet, hat viele kleine Seen gebildet, die heute der Erholung dienen. Von den ursprünglich weiter verbreiteten Mooren sind noch Reste im Oberhauser Ried und an den "Wasenlöchern" bei Illerberg zu sehen. Vier Naturschutzgebiete (z.B. "Wochenau", Illerzeller Auwald) sind ausgewiesen, dazu 7 Landschaftsschutzgebiete, 12 flächenhafte Naturdenkmale und 20 geschützte Landschaftsbestandteile. Im Osten ist der Landkreis eingerahmt von ausgedehnten Wäldern (z.B. Stoffenrieder Forst), der Waldanteil an der Wirtschaftsfläche liegt mit 36 % im bayerischen Durchschnitt. Außer der Iller durchfließen noch drei kleinere Gewässer - Roth, Biber, Osterbach - parallel zur Süd-Nord verlaufenden Iller den Landkreis. Im Norden bildet die ungefähr West-Ost fließende Donau die Landkreisgrenze, nur die Gemeinde Elchingen liegt jenseits am Autobahnkreuz A7/A8.
In den beiden großen Flusstälern (Donau und Iller) mit den sie begleitenden Autobahnen konzentrieren sich heute Industrie und Gewerbe, während die Täler der kleineren Flüsse Roth, Biber, Osterbach und Leibi vorwiegend landwirtschaftlich geprägt sind. Gut 900 Höfe mit 2 ha oder mehr wirtschaften noch im Landkreis. Es sind gemischte Betriebe, Ackerbau überwiegt, die Grünlandwirtschaft spielt mit nur 32 % Anteil an der Nutzfläche eine weitaus geringere Rolle als im Allgäu, weshalb viel weniger Kühe, dafür aber große Zahlen an Mast- und Zuchtschweinen gehalten werden. Einem Sonderzweig der Landwirtschaft ist das Bienenmuseum im Vöhlinschloss in Illertissen gewidmet.
Im Heimatmuseum Neu-Ulm werden vier schöne Keramiktöpfe (um 1200 v.Chr.) aufbewahrt, noch frühere vorgeschichtliche Funde (1500 v.Chr.) wurden bei Bellenberg geborgen. Die älteste bäuerliche Besiedelung der an Iller und Roth von der Nacheiszeit geschaffenen Lössterrassen wird in die frühe Eisenzeit datiert. Von den damaligen Menschen zeugen noch viele Grabhügel. Im ersten Jahrhundert n.Chr. wurde das Kreisgebiet römisch. Straßenbau setzte ein, Kleinkastelle wurden gebaut und Gutshöfe angelegt, z.B. in Thalfingen, Aufheim, Wullenstetten. Kellmünz, heute die südlichste Gemeinde des Landkreises, wurde als "Caelio monte" zu einem markanten Ort römischer Macht. 233 erfolgte ein Alamanneneinfall vom Riesrand her bis in die Gegend von Kempten. Ein Gegenstoß brachte das Land noch mal bis 450 unter römische Herrschaft. Das Museum in Kellmünz zeigt reiche Funde aus dieser wichtigen Epoche. Dann zog Rom seine Truppen zurück und die Alamannen begannen an den heutigen -ingen- und -heim-Orten zu siedeln. 537 fielen sie unter die Oberherrschaft der Frankenkönige, was unter deren Schutz weitere Urbarmachung ermöglichte (-hofen und -hausen-Orte). Ausgangs des 6. Jahrhunderts nahmen die Alamannen das Christentum an, erste Kirchen wurden gebaut und die Iller 625 zur Bistumsgrenze zwischen Augsburg und Konstanz bestimmt. 746 brach das karolingische Königshaus die Macht des alamannischen Herzogs und Adels. Von nun an hielten Grafen im Auftrag des Königs Gericht. Mehrere Grafengeschlechter bauten Burgen, um ihr Herrschaftsgebiet zu sichern. Später wurden auch Ulmer Patrizier und die Fugger, diese ab 1507 in Weißenhorn, Herren im Landkreis. Außerdem hatten der Bischof von Augsburg und einige Klöster umfangreiche Ländereien inne.
Im Bauernkrieg wurde 1524 das Schloss Illertissen beschädigt, und 1525 plünderte der Leipheimer Haufe das Kloster Roggenburg. Kurz darauf, 1531, wurde die Freie Reichsstadt Ulm evangelisch, und mit ihr blieben es die Dörfer ihres umliegenden Landbesitzes bis heute. Der Dreißigjährige Krieg ließ nur ein Drittel der Einwohner am Leben. Wieder aufgefüllt wurde das leere Land durch Zuwanderer aus den Alpenländern. Der Wiederaufbau des verwüsteten Landes wurde von den Klöstern angeführt, vor allem Wiblingen, Elchingen und Roggenburg. Damals wurden überall neue Klosterbauten errichtet und Kirchen, besonders auch Wallfahrtskirchen, wobei jede Herrschaft möglichst ihre eigene Wallfahrt begründete. Der größte Teil des Landkreises stand jetzt unter dem Schutz des Erzhauses Österreich. Die übrigen Adelsherrschaften zerfielen durch Teilungen in immer kleinere und immer weniger lebensfähige Stücke. Einige dieser winzigen Herrschaften beschafften sich Kapital, indem sie Juden ansiedelten, so in Illereichen, Altenstadt und Osterberg.
1803 erfolgte die Mediatisierung der weltlichen Herrschaften, die österreichische Herrschaft ging 1805 in der Schlacht bei Elchingen gegen Napoleon unter. Bayern gewann das gesamte österreichische Gebiet und vorübergehend sogar die Reichsstadt Ulm, die aber mit allem Land westlich der Iller 1810 an Württemberg kam. Die heutige Kreisstadt Neu-Ulm bekam 1869 das Stadtrecht, ist also von minderer historischer Bedeutung als die heute viel kleineren Städte Weißenhorn (Fugger) oder Illertissen (Freiherrn Vöhlin).
Bezieht man dörfliche Pfarrhäuser mit ein, so steht im Landkreis noch ein ansehnliches agrarkulturelles Erbe. Zum Gurrenhof der Reichsstadt Ulm gehört als ältestes Gebäude der Vohlenhof, immer noch Pferdestall; der Häuserhof über Gerlenhofen wurde ab 1622 neu erbaut; ein wohlgepflegtes Söldanwesen mit Heustock und Schweinestall steht in Buch; bäuerlicher Stolz spricht aus einem Hof in Schalkshofen mit Bauzier aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; in Erbishofen, Hochbuch, Biberachzell und im Weiler Asch bei Weißenhorn kann man Fachwerkhöfe bewundern; in Meßhofen einen kleinen Einfirsthof des 18. Jahrhunderts mit abgewalmtem Dach; aus dem 18. Jahrhundert stammt ein walmgedecktes Fischerhaus am Stiftsweiher in Roggenburg; ein zweigädiges Wohnstallhaus mit separater Scheune gibt es noch "beim Hansweber" in Attenhofen; oft fotografiert wird der romantisch aussehende Einfirsthof "Sölde" in Pfuhl; von solchen kleinen Söldnerhöfen wird in Bubenhausen, Buch und Grafertshofen heute noch das Straßenbild bestimmt. Allerdings verfallen auch mancherorts die letzten Bauzeugen der bäuerlichen Hauslandschaft, so in Schießen nahe der Wallfahrtskirche. Bemerkenswerte barocke Pfarrhöfe sind z.B. erhalten in Finningen, Aufheim, Jedesheim, Osterberg, Christertshofen, Gannertshofen.
Agrarkulturelles Erbe ist auch das Brauchtum, das im Landkreis noch oder wieder lebendig ist, wenngleich diejenigen, die es pflegen, heute meistens keine Bauern sind. Bekannt ist die schwäbische Fasnet mit ihren wilden und rauen Gestalten, in Weißenhorn schon seit über 500 Jahren gefeiert. Am ersten Sonntag in der Fastenzeit wird vielerorts ein Funkenfeuer angezündet, in dem eine Strohpuppe, die Funkenhexe, eine Verkörperung des Winters, verbrannt wird. Kirchliche Bräuche werden nach wie vor geübt, darunter Sternsingen, Palmboschen, Speisenweihe, Kräuterweihe. Traditionsreiche Wallfahrten finden statt, u. a. zur Sieben-Schmerzen-Muttergottes in Oberelchingen seit 1644 oder zur Maria-Hilf-Kapelle in Meßhofen. Nach dem Zweiten Weltkrieg blühte eine Wallfahrt zur Gebetsstätte Marienfried in Eichholz auf. Einer der großen Umritte in Bayern zum Leonhardifest findet am 6. November in Tiefenbach und Weißenhorn statt. Eine besondere Prozession ist das "Leiberfest" an Mariä Himmelfahrt. Die Reliquien von vier frühchristlichen Märtyrern werden feierlich um das Kloster Roggenburg getragen. Ungebrochen ist die Tradition des schwäbischen Krippenbaues. Krippenschauen gibt es regelmäßig in Weißenhorn, Illerberg und Illertissen.
Die Kunstgeschichte dieses kleinen Landkreises ist außerordentlich vielfältig, wozu auch die Jahrhunderte lange herrschaftliche Zersplitterung beiträgt, denn die Herren wetteiferten miteinander um möglichst angesehene Künstler. So hat denn das Gebiet sechs kunstgeschichtliche Mittelpunkte: Reichsstadt Ulm, Benediktinerabtei Elchingen, Herrschaft Weißenhorn, Prämonstratenserkloster Roggenburg, Herrschaften Illertissen und Illereichen. Romanische Baureste sind in mehreren Kirchen zu finden, z.B. den Klosterkirchen Oberelchingen und Roggenburg. Romanisch sind das St. Martinskirchlein mit Fresko des Heiligen in Filzingen, einer der ältesten Kirchen der Region, und die Kirche St. Johann Baptist in Aufheim. Es gibt nur wenige Orte im Landkreis, deren Gotteshäuser keine Spuren der gotischen Epoche aufweisen. Die meisten stammen aus der Spätgotik (ca. 1450-1520), einer Zeitspanne, in der die in Ulm infolge des Münsterbaues aufgeblühte Kunst auf das Land ausstrahlte. Einer der anspruchsvollsten Kirchenbauten in der Reihe dieser Dorfkirchen ist Holzheim (1519). Gotische Torturmkirchen stehen in Reutti (1470) und in Pfuhl, wo ein Fresko des Weltgerichts (1394) die Aufmerksamkeit auf sich zieht. In Weißenhorn sind die einzigen Profanbauten aus der Gotik (Schloss, Stadtbefestigung) übrig geblieben.
Mittelalterliche Skulpturen und Malereien gibt es weit mehr als mittelalterliche Bauten. Das bisher früheste Dokument christlicher Kunst ist der Kellmünzer Terrakotta-Christus aus dem 8./9. Jahrhundert. Ein romanisches Kruzifix hängt in St. Leonhard in Weißenhorn. Den glücklichsten Gesamteindruck einer bilder- und figurengeschmückten, mittelalterlichen Kirche bieten heute Chor und Altarraum der Pfarrkirche St. Margareta in Reutti. Groß ist die Zahl der Muttergottesfiguren des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts. Das bedeutendste Bildwerk dieser Art dürfte die Muttergottes von Pfaffenhofen sein (um 1470). Andere schmücken die Kirchen von Altenstadt, Bubenhausen und Holzheim. Die ältesten gotischen Wandmalereien ("Christus als Weltenherrscher", 1394) birgt die evangelische Kirche in Pfuhl, weitere sind in Pfaffenhofen, Reutti und - besonders gut erhalten - in Hausen zu sehen. Das schönste Werk der gotischen Zeit im ganzen Landkreis ist der einzige am ursprünglichen Ort erhaltene Flügelaltar der Kirche in Reutti (1519). Andere Altäre stehen nur zum Teil noch am Ort, z.B. Attenhausen, oder sind ganz und gar ins Museum gekommen, z.B. Hausen. Einzelfiguren sind noch in mehreren katholischen Kirchen erhalten.
Nach dem Ausklang der Spätgotik findet man nur noch wenige Werke der Skulptur in den Kirchen des Landkreises, wohl aber Grabmalplastik, so in Oberelchingen, Illertissen, Illereichen und Kellmünz. Großartigstes Bauwerk der Renaissance ist die Residenz der reichen Memminger Handelsherren Vöhlin in Illertissen. Aus der gleichen Stilepoche stammen Schloss Reutti (um 1550), Schloss Holzschwang - mitten im Dorf gelegen - Schloss mit Bauernhof Neubronn, der einzige noch unverfälscht erhaltene Sitz eines Ulmer Patriziers. Patrizierhöfe sind auch Schloss Steinheim, heute ein Bauernhof, und der schon erwähnte Häuserhof in Gerlenhofen. Das Alte Rathaus in Weißenhorn von 1584 schließt die bemerkenswerte Reihe der Profanbauten aus der Renaissance ab.
Die anderthalb Jahrhunderte nach dem Dreißigjährigen Krieg haben die Kunstlandschaft des Landkreises am stärksten geprägt. Fast jeder Ort jenseits des reichsstädtischen Gebiets von Ulm trägt in seinen Kirchen oder im Ortsbild Züge des Barock, Rokoko oder Empire. Von 1720-1775 wurden rund 20 Landkirchen von einheimischen Werkmeistern neu gebaut oder erneuert, so die Wallfahrtskirche Schießen (seit 1681); Pfarrkirche St. Martin in Illerberg - ein Meisterwerk der "Wessobrunner Schule"; von den Fuggern Pfarrkirche in Pfaffenhofen; Kapelle in Dietershofen (1759); Kapelle St. Leonhard in Roth; das Kirchlein St. Dominikus in Niederhausen; Kirche in Thalfingen (1751/52). Fünf herausragende Objekte seien eigens genannt: Wallfahrtskirche Witzighausen (1748 geweiht); Pfarrkirche St. Johannes in Straß (1746/48); Kloster und Klosterkirche Roggenburg, das großartigste Gesamtkunstwerk des Landkreises; Basilika Oberelchingen (1782/84, spätes Rokoko und früher Klassizismus); Dorfkirche Ingstetten (einheitlich klassizistisch). Der schönste schwäbische Profanraum aus dieser Zeit ist die Klosterbibliothek in Wiblingen. Nur noch wenige Kirchen werden im Laufe der nächsten Jahrzehnte gebaut oder verändert. Erwähnenswert sind noch das Pfarrhaus in Biberbach (1825), und die Stadtpfarrkirche Weißenhorn (ab 1860), die zu den bemerkenswertesten Raumschöpfungen des 19. Jahrhunderts in Bayern gehört.
Text: Prof. Dr. Joachim Ziche